Familie Tello

Familie Tello lebt seit 2011 in Berlin. Die Familie wird zunächst schnell und unkompliziert aufgenommen. Aber ohne dauerhafte Niederlassungserlaubnis und Einbürgerung begleitet sie in den kommenden 10 Jahren die Angst, sie könnten irgendwann nach Syrien abgeschoben werden. In Berlin bauen sie sich dennoch ein neues Leben auf. Neben Arbeit und Ausbildung engagieren sich für ein friedliches und demokratisches Syrien. Die Hoffnung, irgendwann Damaskus wiederzusehen, bleibt.

Die Flucht

Damaskus / Syrien

Rafeef zu Hause in Damaskus

Fawaz und Rafeef Tello werden in Damaskus geboren. Dort kommen zwischen 1992 und 2000 auch ihre drei Kinder zur Welt. Die Familie ist der Stadt und ihrem Zuhause stark verbunden. Sie führt dort ein abgesichertes und persönlich erfülltes Leben. Die Eltern sind akademisch ausgebildet. Fawaz hat Bauwesen und BWL studiert, Rafeef Pharmazie.

Bei Damaskus / Syrien

Das Familienglück wird von den politischen Verhältnissen in Syrien überschattet. Fawaz ist politisch aktiv. Er gehört zu einer Gruppe von Oppositionellen, die ihre Kritik an der Regierung von Baschar al-Assad frei äußern. Im Zusammenhang mit dem ‚Damaszener Frühling‘ wird Fawaz 2001 verhaftet und muss für fünf Jahre ins Gefängnis. In dieser Zeit sorgt Rafeef allein für die Familie, stets unter Beobachtung durch den syrischen Geheimdienst.

Fawaz mit Nawar bei Damaskus, 2010

Damaskus / Syrien

Jihad zu Hause in Damaskus, 2010

Jihad, Leen und Nawar besuchen in Damaskus die Schule. Als Kinder eines Regimekritikers werden sie bedroht und unter Druck gesetzt. Nach der Haftentlassung ihres Vaters leben sie in ständiger Angst vor einer erneuten Verhaftung. Als sich die politische und persönliche Bedrohung im Zuge eines Aufstands weiter verschärft, sieht sich die Familie gezwungen, Syrien zu verlassen. Jihad kann noch sein Abitur beenden, seine Schwester Leen und sein Bruder Nawar müssen die Schule abbrechen.

Beirut / Libanon

Fawaz flieht mit dem Auto in das Nachbarland Libanon und fliegt von Beirut direkt weiter nach Kairo (Ägypten). Die anderen Familienmitglieder bleiben zunächst in Damaskus zurück. Sie wollen abwarten, ob dem Vater die Flucht gelingt. Im Falle einer Verhaftung wollen sie das Land nicht ohne ihn verlassen.

Leen, Nawar und Jihad zu Hause in Damaskus, 2010

Kairo / Ägypten

Diesen Schal trägt Rafeef auf der Flucht bei sich. Er ist ein Geschenk ihrer Mutter.

Nachdem Fawaz sicher in Kairo angekommen ist, brechen Rafeef und die Kinder sofort auf. Die Flugtickets haben sie bereits, es muss alles sehr schnell gehen. Den Schlüssel zu ihrem Haus nehmen sie in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr mit. In Kairo verbringt die Familie sieben Wochen. Auf Bemühen des Auswärtigen Amtes erhält sie ein Einreisevisum für Deutschland.

Berlin

Im März 2012 kommt Familie Tello mit dem Flugzeug in Berlin an. Sie erhält eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis und eine Unterkunft im Übergangswohnheim Marienfelde. Um so schnell wie möglich wieder auf eigenen Beinen zu stehen, begeben sich Fawaz und Rafeef umgehend auf Wohnungssuche. Nach zwei Monaten werden sie fündig und können umziehen.

Familie Tello in Berlin – Marienfelde, 2012

"Diese Revolution ist alles im Leben eines Syrers. Wir alle haben dieses wunderbare Gefühl, dass wir am Ende einen sehr hohen Lohn für uns und unsere Kinder bekommen: die Freiheit."

(Fawaz Tello, 2012)

"Die Situation in Syrien ist komplizierter geworden. Als Politiker weiß ich, was in Syrien läuft: Die Rückkehr nach Syrien während dieser Umstände wird weder bald erfolgen noch leicht sein. Trotzdem: Meine Hoffnung existiert noch. Ich werde immer zurückkehren wollen."

(Fawaz Tello, 2016)

10 Jahre nach der Flucht wartet die Familie noch immer auf einen sicheren Aufenthaltstitel.

Die Familie hat Angst, dass in der Zwischenzeit neue Gesetze erlassen werden könnten. Sie haben bereits bei manchen Behörden mutwillige Verzögerungen und Diskriminierung erlebt. Neben mehr Sicherheit würde der deutsche Pass auch beruflich mehr Freiheit bringen.

Nawar ist bei einem Paketdienst angestellt und lebt als Einziger noch bei den Eltern. Leen hat eine Ausbildung zur Erzieherin abgeschlossen und arbeitet jetzt in einer Kita. Jihad schreibt seine Bachelorarbeit, eine Politikfeldanalyse zu Einwanderungssystemen.

Fluchtpunkt Berlin-Marienfelde?

Wäre Familie Tello auch zehn Jahre später in Berlin angekommen?

Der Flugverkehr von und nach Ägypten war 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie lange unterbrochen, die Weiterreise nach Deutschland auf dem Luftweg mithin unmöglich. Die Einstellung des internationalen Flugverkehrs hatte für viele Schutzsuchende in Ägypten dramatische Folgen. Humanitäre Aufnahmeprogramme wurden zeitweise komplett ausgesetzt, im Rahmen des deutschen Resettlement-Programms wurden von den geplanten 5.500 Aufnahmen nur 25% durchgeführt. Resettlement-Programme ermöglichen besonders schutzbedürftigen Menschen die legale, sichere und dauerhafte Einreise in einen aufnahmebereiten Drittstaat. Weltweit liegt der Bedarf an Resettlement-Plätzen bei mehr als 1,4 Millionen, 2019 wurden davon selbst ohne Pandemie weniger als fünf Prozent durch die internationale Staatengemeinschaft bereitgestellt.