Wer ist ‚wir‘?

Freiwillig oder erzwungen, auf legalen oder illegalen Wegen, auf Zeit oder dauerhaft: Immer mehr Menschen leben außerhalb ihres Geburtslandes.

Migration verändert schon immer die Welt, in der wir leben. Nationalstaaten allerdings sehen sich dadurch vor Herausforderungen gestellt: Geltendes Recht und herkömmliche Instrumente zur Gestaltung von Politik und Gesellschaft entsprechen vielerorts nicht mehr den Notwendigkeiten und Bedürfnissen einer mobilen und vielfältigen Bevölkerung.

Ein wichtiges Thema ist dabei die Bedeutung von Staatsbürgerschaft. Passt dieses Konzept von nationaler Zugehörigkeit noch in eine Zeit, in der viele Menschen sich mehr als einem Ort oder Staat dieser Welt verbunden fühlen? Was ist mit jenen, die in Deutschland leben, ohne einen deutschen Pass zu besitzen?

Ein Pass – amtlich auch „Nationalpass“ – dient dem Nachweis über Identität und Staatsangehörigkeit eines Menschen. Alle die im Besitz des deutschen Passes sind, genießen innerhalb Deutschlands volle Bürgerrechte.

Alle Deutschen haben ein Recht darauf…

Der deutsche Pass bedeutet politische Teilhabe und Sicherheit. Wer nicht als Kind deutscher oder dauerhaft in Deutschland lebender Eltern per Geburt deutsch ist, kann es durch Einbürgerung werden. Aber die Hürden sind hoch.

Alle, die den deutschen Pass durch Einbürgerung bekommen, müssen…

Die Staatsangehörigkeit regelt, wer rechtlich und politisch „dazugehört“ und wer nicht. Doch der Pass allein bestimmt nicht das Zugehörigkeitsgefühl. Persönliche Erlebnisse und Erfahrungen sind entscheidend. Hier berichten zehn Menschen, was ihnen ihr Pass bedeutet.

Wer als Mitglied einer Gesellschaft formal anerkannt und respektiert wird, ist ein ständiger Aushandlungsprozess. Auch in Deutschland wird kontrovers diskutiert, wer zu diesem Land gehört und wer nicht. Wer die deutsche Gemeinschaft allein durch deutsche Herkunft, Sprache und Kultur bestimmt, erlebt Migration vor allem als Problem und Bedrohung. Wer offen ist für Vielfalt und Veränderung, für den gehört Migration zur gesellschaftlichen Normalität, die von allen gemeinsam gestaltet werden muss.

Wahlrecht ohne Staatsbürgerschaft

DIE IDEE
Nicht die Staatsbürgerschaft, sondern der Lebensmittelpunkt entscheidet über den Anspruch auf das Wahlrecht.

DIE BEGRÜNDUNG
Alle Menschen, die den Gesetzen eines Staates unterworfen sind, müssen diese mitbestimmen dürfen.

Es gibt Staaten, die Wahlrechte auch ohne entsprechende Staatsbürgerschaft gewähren. In Neuseeland etwa dürfen Menschen, die seit mindestens einem Jahr legal dort wohnen, an den nationalen Wahlen teilnehmen; in Chile nach fünf, in Malawi nach sieben und in Uruguay nach 15 Jahren. In der Hälfte aller EU-Mitgliedstaaten darf auch ohne Unionsbürgerschaft gewählt werden, allerdings nur auf regionaler oder kommunaler Ebene. In Deutschland haben allein Wahlberechtigte aus EU-Mitgliedstaaten das kommunale Wahlrecht.

Stadtbürgerschaft statt Staatsbürgerschaft

DIE IDEE
Alle, die in einer Stadt leben, haben unabhängig von Herkunft, Nationalität oder Aufenthaltstitel die gleichen Rechte.

DIE BEGRÜNDUNG
Mit der Stadtbürgerschaft sind Menschen ohne Papiere besser vor Auslieferung, Ausbeutung und Diskriminierung geschützt.

Vorbild für die Stadtbürgerschaft ist New York City, wo 2015 die IDNYC eingeführt wurde. Auch in Europa gibt es inzwischen Initiativen und Städte, die an einer Stadtbürgerschaft arbeiten. In der Schweiz erprobt die Stadt Bern seit 2021 dieses Modell. Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis können mit ihrer City-ID innerhalb der Stadtgrenzen z.B. leichter Miet-, Handy- und andere Verträge abschließen, Bankgeschäfte oder Arztbesuche erledigen oder ihre Kinder in der Kita anmelden. Bei Behördengängen, in Polizeikontrollen oder wenn sie eine Straftat melden wollen, müssen sie keine Angst vor Ausweisung haben.

Wer darf Deutschland politisch mitgestalten?

Kann in einer Demokratie der Pass allein Bedingung für politische Mitbestimmung sein
oder muss dieses Recht allen hier lebenden Menschen zustehen?

Menschen sollen dort politisch mitentscheiden können, wo sie leben?